Der Ausgangsfall
Der Kläger stellte sich im Oktober 2013 wegen chronisch-rezidivierender Ohrentzündungen und Paukenergüssen in der HNO-Klinik der Beklagten vor. Anfang November 2013 wurde der Kläger über die Risiken der geplanten Operation zur Optimierung der Nasenluftpassage durch Begradigung der Nasenscheidewand und Sanierung der Nasennebenhöhlen aufgeklärt. Unmittelbar nach dem Gespräch mit der aufklärenden Ärztin unterzeichnete der Kläger die Einwilligungserklärung.
Während der Operation, drei Tage nach der Aufklärung, kam es zu einer stärkeren arteriellen Blutung. Postoperativ wurde im CT eine Hirnblutung des Klägers bestätigt. Es konnte eine Verletzung der äußersten Hirnhaut sowie eine Durchtrennung des Riechnervs festgestellt werden. Mit der Behauptung, die Operation sei fehlerhaft vorbereitet und durchgeführt worden und er sei unzureichend aufgeklärt worden, nahm der Kläger die Beklagte auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.
In Berufung und Revision war letztlich nur noch der Aufklärungsfehler Streitgegenstand. Die entscheidende Frage war hier: Hätte dem Kläger zwischen dem Aufklärungsgespräch und der Einwilligung mehr Bedenkzeit eingeräumt werden müssen?
OLG: Zu wenig Bedenkzeit
Nachdem das Landgericht die Klage abgewiesen hatte, sprach das OLG Bremen dem Kläger Schadensersatz zu, weil seine Einwilligung in den Eingriff unwirksam gewesen sei:
Dem Kläger sei entgegen § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB keine Bedenkzeit zwischen der Aufklärung über die Risiken des Eingriffs und der Entscheidung über die Einwilligung eingeräumt worden. Eine wohlüberlegte Entscheidung im Sinne des § 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BGB könne schon nach dem Wortlaut der Vorschrift nur treffen, wer ausreichend Zeit zur Überlegung habe. Wenn ein Krankenhaus jedoch aus organisatorischen Gründen dazu übergegangen sei, den Patienten unmittelbar im Anschluss an die Aufklärung die Einwilligungserklärung unterschreiben zu lassen, könne von einer wohlüberlegten Entscheidung nicht ausgegangen werden, so das OLG Bremen.
BGH: Zeitpunkt der Einwilligung "Sache des Patienten"
Dem widerspricht der BGH entschieden: Sowohl der Umfang der Aufklärung sei ordnungsgemäß als auch die Einwilligung rechtswirksam erfolgt. Das Berufungsgericht habe mit seiner Beurteilung den Wortlaut des § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB überspannt und überzogene Anforderungen an die Pflichten der Behandlungsseite zur Einholung der Einwilligung des Patienten gestellt. Die seit 2013 im Bürgerlichen Gesetzbuch verankerten Patientenrechte verlangten, dass die Aufklärung so rechtzeitig zu erfolgen habe, dass der Patient seine Entscheidung in wohlüberlegter Weise treffen könne, § 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB. Die Norm enthält jedoch gerade kein Erfordernis, dass zwischen Aufklärung und Einwilligung ein bestimmter Zeitraum liegen muss, sondern kodifiziert die bisherige Rechtsprechung, wonach der Patient vor dem beabsichtigten Eingriff so rechtzeitig aufgeklärt werden muss, dass er durch eine hinreichende Abwägung der für und gegen den Eingriff sprechenden Gründe seine Entscheidungsfreiheit und damit sein Selbstbestimmungsrecht sachgerecht ausüben kann. Eine Warte- oder Sperrfrist, wie sie das OLG angenommen hat, ist dabei keine Voraussetzung für eine wirksame Einwilligung. Es liegt allein im individuellen Ermessen des Patienten, wie schnell er nach ordnungsgemäßer Aufklärung eine Entscheidung trifft. Der BGH betont in seiner Entscheidung ausdrücklich, dass eine solche „wohlüberlegte“ Entscheidung auch unmittelbar nach der Aufklärung möglich ist: Wenn sich der Patient nach dem Aufklärungsgespräch zu einer besonnenen Entscheidung in der Lage sieht und sofort einwilligen will, ist das sein gutes Recht und „seine Sache“. Benötigt der Patient jedoch nach der Aufklärung mehr Zeit, um seine Einwilligung zu geben, so kann von ihm erwartet werden, dass er dies dem Arzt gegenüber zum Ausdruck bringt. Tut er dies nicht, kann der Arzt grundsätzlich davon ausgehen, dass der Patient keine weitere Bedenkzeit benötigt.
Abweichende Beurteilung bei konkreten Anhaltspunkten möglich
Im Einzelfall kann sich jedoch dennoch die Situation stellen, dass dem Patienten eine längere Bedenkzeit eingeräumt werden muss. Dies ist insbesondere dann geboten, wenn für den Arzt erkennbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Patient noch Zeit für seine Entscheidung benötigt, die ihm dann – soweit medizinisch vertretbar – auch gegeben werden sollte.
Fazit
Der BGH stellt in seiner Entscheidung nicht nur klar, dass eine nach ordnungsgemäßer Aufklärung sofort erteilte Einwilligung in eine ärztliche Behandlung wirksam sein kann. Er verdeutlich damit auch die Verantwortung der Patienten innerhalb der Behandlung: Sie sind aufgerufen, ihr Selbstbestimmungsrecht wahrzunehmen und aktiv an der Behandlungsentscheidung mitzuwirken!