Der Fall
Die Klägerin absolvierte eine Ausbildung zur Altenpflegerin in einem Pflegeheim. Die dortige Pflegedienstleiterin hatte der Klägerin am 21.12.2020 im Vorfeld einer einrichtungsinternen Impfaktion das amtliche „Aufklärungsmerkblatt zur Schutzimpfung gegen COVID-19 mit mRNA-Impfstoff" des Sozialministeriums sowie den Bogen „Anamnese, Einwilligung" ausgehändigt. Auf dem Anamnesebogen beantwortete die Klägerin alle Fragen mit „nein“ und kreuzte die folgenden Punkte an:
- Ich habe keine weiteren Fragen.
- Ich willige in die vorgeschlagene Impfung gegen COVD-19 mit mRNA-Impfstoff ein.
Die folgenden Punkte wurden nicht angekreuzt:
- Ich lehne die Impfung ab.
- Ich verzichte ausdrücklich auf das ärztliche Aufklärungsgespräch.
Am Tag der ersten Impfung gab die Beklagte dem Pflegepersonal die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Viele Mitarbeiter machten von dieser Möglichkeit Gebrauch. Während einige Mitarbeiter die Impfung ablehnten, entschied sich die Klägerin dafür. Nach der Impfung mit dem mRNA-Impfstoff Pfizer-BioNTech COVID-19 Vakzin "Comirnaty" musste sich die Klägerin wegen aufgetretener Nebenwirkungen in stationäre Behandlung begeben und behauptete, von der Beklagten nicht über die Risiken der Impfung aufgeklärt worden zu sein. Im Zusammenhang mit einem ebenfalls behaupteten neurologischen Folgeschaden machte sie ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 50.000 Euro geltend.
Die Entscheidung
Die Kammer verneint eine Aufklärungspflichtverletzung: Die Klägerin sei ordnungsgemäß über die Risiken der beiden verabreichten COVID-19-Impfungen aufgeklärt worden.
1. Allgemeine rechtliche Einordnung freiwilliger Impfungen
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist auch bei freiwilligen Impfungen - selbst, wenn sie öffentlich empfohlen werden - eine Risikoaufklärung erforderlich (BGH, Urt. v. 7.7.1994 - III ZR 52/93; BGH, Urt. v. 15.2.1990 - III ZR 100/88). Im Falle einer öffentlichen Impfempfehlung, bei der die Grundimmunisierung der Gesamtbevölkerung zur Verhinderung einer epidemischen Ausbreitung der Krankheit im öffentlichen Interesse liegt, hat bereits eine Abwägung der Gesundheitsbehörden zwischen den Risiken der Impfung einerseits und den drohenden Gefahren bei Nichtimpfung andererseits stattgefunden. Da die Impfung jedoch freiwillig ist, muss auch hier eine ärztliche Aufklärung stattfinden, die dem Impfling die Kenntnisse über die Impfrisiken vermittelt, die er benötigt, um persönlich abwägen zu können, ob er sich diesen Risiken aussetzen will.
2. Routineimpfungen
Bei öffentlich empfohlenen Routineimpfungen (z.B. Polio, Diphtherie, Tetanus) kann es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausreichen, wenn der Arzt dem Patienten nach der schriftlichen Aufklärung Gelegenheit gibt, sich in einem Gespräch weiter zu informieren - er kann dem Patienten hierzu Merkblätter aushändigen und muss kein mündliches Aufklärungsgespräch führen. Im persönlichen Gespräch vor der Impfung muss dem Patienten jedoch Gelegenheit gegeben werden, eventuelle Fragen zu stellen. Aus dem Schweigen des Patienten auf die Erklärung des Arztes, die Impfung könne nun durchgeführt werden, kann jedoch bereits geschlossen werden, dass kein weiterer Aufklärungsbedarf besteht.
3. Neuartige mRNA-Impfstoffe
Die Covid-19-Impfung mit dem mRNA-Impfstoff war zwar eine öffentliche Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO). Sie entsprach aber keiner Routineimpfung, da der mRNA-Impfstoff von der EMA nur vorläufig zugelassen war. Der Impfstoff wurde jedoch in der Öffentlichkeit breit diskutiert, stark nachgefragt und an über 70 % der Bevölkerung verimpft. Das Landgericht wendete daher die vom BGH entwickelten Grundsätze zu Routineimpfungen auch auf die Impfung mit dem mRNA-Wirkstoff "Comirnaty" an. Demnach genügt der impfende Arzt hier seiner Aufklärungspflicht, wenn er nach vorheriger schriftlicher Aufklärung durch ein Merkblatt jedem Impfling im mündlichen Arztgespräch vor der Impfung die Möglichkeit zu Fragen und weiteren Informationen gegeben hat. Demgegenüber wäre die Forderung nach einem ausführlichen ärztlichen Aufklärungsgespräch vor jeder Impfung logistisch kaum durchführbar gewesen und hätte die Impfaktion erheblich verzögert.
Daher genügte es nach der schriftlichen Aufklärung für eine ordnungsgemäße Aufklärung, dass die Klägerin unmittelbar vor der Impfung Fragen stellen konnte. Die Klage hätte daher selbst dann keinen Erfolg haben können, wenn die Klägerin tatsächlich den behaupteten Impfschaden erlitten hätte. Zu der streitigen Frage, ob ein solcher Impfschaden vorliegt, hat die Kammer daher keinen Beweis mehr erhoben.
Fazit
Schon jetzt wird in vielen Praxen die Aufklärung im Hinblick auf kleinere Eingriffe so organisiert, dass das Aufklärungsgespräch mit einem Formular vorbereitet wird. Das anschließende Gespräch mit dem behandelnden Arzt beschränkt sich nur noch auf die Klärung offener Fragen. Die Entscheidung des LG Heilbronn scheint dieses Vorgehen zu unterstützen. Es muss jedoch gewährleistet werden, dass für das Arzt-Patienten-Gespräch in jedem Fall ausreichend Zeit zur Verfügung steht. Die Corona-Schutzimpfung stand 2021 unter besonderen Voraussetzungen und kann nicht als Blaupause für andere elektive Eingriffe dienen.