Die Beweiskraft elektronischer Patientendokumentation

Zugegebenermaßen: die elektronische Dokumentation bietet viele Vorteile. Angefangen von der Leserlichkeit, über eine ordentliche und strukturierte Nachvollziehbarkeit der Behandlungsschritte, bis hin zur Zugänglichkeit und gleichzeitigen Nutzbarkeit durch mehrere Stellen. Und platzsparend ist sie obendrein.

Die Tücken werden sichtbar wenn man sie braucht – beispielsweise als Beweismittel im Arzthaftungsprozess. Wie steht es nun um den Beweiswert der elektronischen Dokumentation? Ein Urteil des BGH (Urteil vom 27.04,2021, Az.: VI ZR 84/19) hat diese Frage jüngst wieder in den Fokus gerückt.

Beweisrechtliche Grundsätze zur elektronischen Dokumentation im Zivilprozess

Das deutsche Beweisrecht unterwirft elektronische Dokumente grundsätzlich dem Augenscheinsbeweis im Gegensatz zum Urkundenbeweis und dessen strengerer Beweiskraft, wie sie der handschriftlichen Patientendokumentation zugutekommt. Augenscheinsbeweis bedeutet, dass die Beweiskraft der elektronischen Dokumentation der freien Beweiswürdigung des Gerichts unterliegt, mithin das Gericht „nach freier Überzeugung“ zu entscheiden hat, ob es eine tatsächliche Behauptung für wahr oder unwahr erachtet.

Ganz so vage wie das klingen mag, läuft es im Prozess natürlich nicht ab. Das Gericht ist durchaus auch im Rahmen der freien Beweiswürdigung an rechtliche Vorgaben, Denk- und Erfahrungssätze und deren Indizwirkung gebunden. Diese hat der BGH nun in Bezug auf die elektronische Patientendokumentation konkretisiert.

Rechtliche Vorgaben

Zunächst ist im Rahmen der Beweislast darauf zu achten, wer welche Tatsache überhaupt zu beweisen hat. Im Arzthaftungsprozess trägt diese grundsätzlich der klagende Patient. So auch in dem Fall, der dem BGH zur Entscheidung vorlag: Einer Fachärztin für Augenheilkunde wurde unter anderem ein Behandlungsfehler durch Unterlassen einer medizinisch gebotenen Befunderhebung vorgeworfen. Die Beweislast, dass die medizinisch gebotene Untersuchung unterblieben war, trug der Patient. An die streitige Untersuchung konnte sich die Ärztin zwar nicht mehr erinnern, sie hatte diese aber elektronisch dokumentiert. Die Angaben des Klägers und seiner Ehefrau legten aber ebenfalls schlüssig dar, dass diese notwendige Untersuchung gerade nicht erfolgt war. Da der Kläger jedoch keine greifbaren Anhaltspunkte dafür vorbrachte, dass der entsprechende Eintrag erst nachträglich erfolgt war, maß die Vorinstanz der Dokumentation positive Indizwirkung dahingehend bei, dass die dokumentierte Maßnahme auch tatsächlich so getroffen worden war.

Für den BGH erfolgte diese Annahme rechtsfehlerhaft. Die Vorinstanz hatte nicht ausreichend berücksichtigt, dass die elektronische Dokumentation mit einer Software erstellt worden war, die nachträgliche Änderungen und Ergänzungen nicht erkennbar machte. In dem sie dieser aber positive Indizwirkung beimaß, hat sie im Rahmen ihrer Beweiswürdigung gegen Denkgesetze verstoßen.

Das Gesetz verpflichtet den Behandelnden zur Dokumentation medizinischer Daten und Fakten, die für den Behandlungsverlauf und die Therapiesicherung wesentlich sind. Dabei fordert sowohl das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 630f Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB) als auch die Musterberufsordnung für Ärzte (§ 10 Abs. 5 MBO-Ä) eine veränderungssichere Dokumentation. Dies bedeutet, dass Berichtigungen und Änderungen von Eintragungen in der Patientenakte nur zulässig sind, wenn neben dem ursprünglichen Inhalt erkennbar bleibt, wann sie vorgenommen wurden.

Hat der Behandelnde eine medizinisch gebotene Maßnahme und ihr Ergebnis hingegen (gar) nicht in der Patientenakte aufgezeichnet oder hat er die Patientenakte nicht aufbewahrt, eröffnet dies im Prozess eine Beweislastumkehr, da vermutet wird, dass er diese Maßnahme nicht getroffen hat.

Zu einer Umkehr der Beweislast wollte es der BGH vorliegend nicht kommen lassen, hatte die Ärztin ihre Behandlung doch dokumentiert. Nur eben nicht mit einer „fälschungssicheren“ Software. Also dürfe der Tatrichter – so der BGH – der elektronischen Dokumentation weder negative (Behandlung nicht erfolgt) noch positive (Behandlung erfolgt) Indizwirkung beikommen lassen. Er habe diesen tatsächlichen Umstand vielmehr bei seiner Überzeugungsbildung unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme einer umfassenden, sorgfältigen aber angesichts der fehlenden Veränderungssicherheit auch kritischen Würdigung zu unterziehen. Dies gelte – gerade weil nachträgliche Veränderungen im Rahmen der elektronischen Dokumentation nicht nachvollziehbar sind – auch dann, wenn der Patient keine greifbaren Anhaltspunkte dafür darlegen könne, dass die Dokumentation nachträglich zu seinen Lasten geändert worden sei.

Empfehlung und Umsetzung

Empfehlungen zur elektronischen Dokumentation und Archivierung gaben die BÄK und KBV bereits 2018 im Ärzteblatt heraus (Deutsches Ärzteblatt | Jg. 115 | Heft 25 | 22. Juni 2018, A1239).

Grundsätzlich bieten alle Hersteller gängiger Dokumentationssoftware eine revisionssichere Dokumentation in dem Sinne an, dass Änderungen und Ergänzungen nachvollzogen werden können. Dies kann durch ein Änderungsprotokoll oder auch mittels digitaler Signatur und Zeitstempel erfolgen. Es empfiehlt sich also dringend, diese Funktionen auch zu aktivieren. Die Veränderungs- und Fälschungssicherheit kann und sollte beim Hersteller zudem erfragt und unter Umständen von diesem schriftlich bestätigt werden.

Erschienen in: Rheuma Management, Ausgabe September/Oktober 2021

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Rechtsgebiet Arzthaftungsrecht

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