Der ohne Begründung gestellte Antrag auf Anhörung eines Sachverständigen kann rechtsmissbräuchlich sein

OLG München, Beschl. v. 11.10.2022 – 1 U 4110/22, n.v.

LG München I, Urt. v. 01.06.2022 - 9 O 18718/19, n.v.

Der Fall

Der Prozessbevollmächtigte einer Klägerin hatte in einem vor dem Landgericht München geführten Arzthaftungsprozess ohne jede Begründung beantragt, dass der Sachverständige, der zuvor in seinem schriftlichen Gutachten Behandlungsfehler verneint hatte, geladen werden soll, um ihn mündlich anzuhören. Auch auf gerichtlichen Hinweis, dass dieser Antrag rechtsmissbräuchlich sei und die Klägerin doch vortragen solle, wo Lücken oder Widersprüche etc. im schriftlichen Gutachten gesehen werden und in welche Richtung die zu stellenden Fragen gehen würden, gab der anwaltliche Bevollmächtigte der Klägerin keine Begründung ab. Das Landgericht lud den Sachverständigen daher ab. In der mündlichen Verhandlung erklärte sich der anwaltliche Bevollmächtigte der Klägerin dahingehend, dass er aus prozesstaktischen Gründen nicht mitteilen wollte, warum der Sachverständige geladen werden soll. Die Klage wurde abgewiesen.

Die dagegen vom Kläger u.a. mit der Begründung der Verletzung rechtlichen Gehörs eingelegte Berufung wurde vom Oberlandesgericht München gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.

Keine Verletzung rechtlichen Gehörs

Aus den Gründen des OLG-Beschlusses:

Der Antrag auf Anhörung des Sachverständigen darf als rechtsmissbräuchlich zurückgewiesen werden, wenn das schriftliche Gutachten des Sachverständigen vollständig und überzeugungsfähig ist, der Antrag aber gleichwohl nicht konkret begründet wird. Von keiner Partei darf verlangt werden, dass sie die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt, im Voraus konkret ausformuliert. Sie muss aber zumindest angeben, „in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht".

Fazit

Das Argument der Prozesstaktik befreit eine Partei bzw. deren Prozessbevollmächtigten nicht davon, zumindest in groben Zügen aufzuzeigen, warum ein Sachverständiger sein schriftliches Gutachten erläutern soll und in welcher Richtung die Fragen an ihn gehen. Ansonsten besteht für den Anwalt das Risiko, sich selber eine Haftung gegenüber seinem Mandanten auszusetzen, da er es mit zumutbarem Aufwand erreichen kann, dass seinem Anhörungsantrag stattgegeben wird und er den Sachverständigen befragen kann.

Datum

Rechtsgebiet Arzthaftungsrecht

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