Der seinerzeit 18 Jahre alte Kläger war Schüler der Jahrgangsstufe 13 und nahm im Januar 2013 am Sportunterricht teil. Etwa fünf Minuten nach Beginn des Aufwärmtrainings hörte er auf zu laufen, stellte sich an die Seitenwand der Sporthalle, rutschte dort in eine Sitzposition und reagierte auf Ansprache nicht mehr. Um 15.27 Uhr ging der von der Sportlehrerin ausgelöste Notruf bei der Rettungsleitstelle ein. Die Lehrerin wurde gefragt, ob der Kläger noch atme. Sie befragte dazu ihre Schüler, die Antwort ist streitig. Sie erhielt sodann von der Leitstelle die Anweisung, den Kläger in die stabile Seitenlage zu verbringen. Der Rettungswagen traf um 15.32 Uhr, der Notarzt um 15.35 Uhr ein. Die Sanitäter und der Notarzt begannen sofort mit Wiederbelebungsmaßnahmen, die ungefähr 45 Minuten dauerten. Sodann wurde der intubierte und beatmete Kläger in eine Klinik verbracht. Im dortigen Bericht ist unter anderem vermerkt: "Beim Eintreffen des Notarztes bereits achtminütige Bewusstlosigkeit ohne jegliche Laienreanimation". Es wurde ein hypoxischer Hirnschaden nach Kammerflimmern diagnostiziert, wobei die Genese unklar war. Während der stationären Behandlung ergaben sich weitere – teils lebensgefährliche – Erkrankungen. Seit Oktober 2013 ist der Kläger zu 100% als Schwerbehinderter anerkannt.
Geschädigter verlangt Schadenersatz wegen unterlassener Reanimationsmaßnahmen
Der Kläger verlangt Schadenersatz mit der Begründung, sein gesundheitlicher Zustand sei unmittelbare Folge des erlittenen hypoxischen Hirnschadens wegen mangelnder Sauerstoffversorgung des Gehirns infolge unterlassener Reanimationsmaßnahmen durch seine Sportlehrerin und einen weiteren herbeigerufenen Sportlehrer. Hätten diese im Rahmen der notfallmäßigen Erste-Hilfe-Versorgung eine Atemkontrolle und – angesichts des dabei festgestellten Atemstillstands – anschließend eine Reanimation durch Herzdruckmassage und Atemspende durchgeführt, wäre es nicht zu dem Hirnschaden gekommen.
Klage war in Vorinstanzen erfolglos geblieben
Das Landgericht hatte die Klage nach Vernehmung von Zeugen abgewiesen (BeckRS 2016, 129732). Die Berufung des Klägers hatte ebenfalls keinen Erfolg (BeckRS 2018, 1169). Das Oberlandesgericht hatte dabei offengelassen, ob die Sportlehrer nach dem Ergebnis der in erster Instanz durchgeführten Beweisaufnahme ihre Amtspflicht, erforderliche und zumutbare Erste-Hilfe-Maßnahmen zu leisten, verletzt haben. Denn es lasse sich jedenfalls nicht feststellen, dass sich ein etwa pflichtwidriges Unterlassen einer ausreichenden Kontrolle der Vitalfunktionen und etwaiger bis zum Eintreffen der Rettungskräfte gebotener Reanimationsmaßnahmen kausal auf den Gesundheitszustand des Klägers ausgewirkt habe, beziehungsweise dass der Zustand des Klägers auf eine massive Sauerstoffunterversorgung bis zum Eintreffen der Rettungskräfte zurückzuführen sei. Denn es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Atmung des Klägers erst kurz vor dem Eintreffen der Rettungskräfte ausgesetzt habe oder dass selbst bei Durchführung einer bereits vorher gebotenen Reanimation der Kläger heute in gleicher Weise gesundheitlich beeinträchtigt wäre. Die Wertung des LG, wonach sich der Zeitpunkt, zu dem der Kläger aufgehört habe zu atmen, nicht verlässlich festlegen lasse, sodass auch nicht festgestellt werden könne, ab wann Wiederbelebungsmaßnahmen geboten gewesen wären, sei nicht zu beanstanden. Für die Einholung eines Sachverständigengutachtens fehle es an ausreichenden Anknüpfungstatsachen. Dieses Beweisergebnis gehe zulasten des Klägers. Gegen das Berufungsurteil richtet sich die vom III. Zivilsenat des BGH zugelassene Revision des Klägers.
BGH hält weitere tatrichterliche Feststellungen für erforderlich
Der III. Zivilsenat hat das Urteil des OLG aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, da auf der Grundlage des bisherigen Sach- und Streitstandes ein Schadenersatzanspruch des Klägers nicht auszuschließen sei und es insoweit weiterer tatrichterlicher Feststellungen bedürfe.
Beweisantrag hätte nicht abgelehnt werden dürfen
Das Berufungsgericht habe die Frage, ob aufgrund der erstinstanzlichen Beweisaufnahme von einer schuldhaften Amtspflichtverletzung auszugehen ist, dahinstehen lassen. Revisionsrechtlich sei deshalb zugunsten des Klägers zu unterstellen gewesen, dass die beteiligten Sportlehrer notwendige Erste-Hilfe-Maßnahmen pflichtwidrig unterlassen haben. Hiervon ausgehend sei die Ablehnung des Beweisantrags des Klägers, ein Sachverständigengutachten zur Kausalität einzuholen, verfahrensfehlerhaft gewesen. Der Antrag habe gerade darauf abgezielt, den Zeitpunkt des Atemstillstands festzustellen und insoweit auch die Behauptung des beklagten Landes zu widerlegen, wonach die Atmung erst unmittelbar vor dem Eintreffen der Rettungskräfte ausgesetzt habe, mithin der dennoch eingetretene Hirnschaden nicht auf das Verhalten der Lehrkräfte zurückzuführen sei.
Weitere Aufklärung der Geschehensabläufe durch Sachverständigen nicht ausgeschlossen
Bekannt (und unstreitig) seien insoweit die Art und die Dauer der von dem Rettungspersonal durchgeführten Wiederbelebungsmaßnahmen gewesen. Auch gehe aus dem vorgelegten Notarzteinsatzprotokoll detailliert hervor, welche Befunde (einschließlich der Sauerstoffkonzentration im Blut) vor Ort bei dem Kläger erhoben wurden. Das Ausmaß des Hirnschadens sei ebenfalls dokumentiert. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass ein Sachverständiger anhand dieser Unterlagen in der Lage sein wird, weitere Aufklärung hinsichtlich der tatsächlichen Geschehensabläufe und damit letztlich in Bezug auf die zwischen den Parteien streitige Frage nach der Ursächlichkeit der (vom Berufungsgericht unterstellten) Versäumnisse der Lehrkräfte für den eingetretenen Hirnschaden zu leisten. Nur wenn dies ausgeschlossen wäre, hätte der Antrag abgelehnt werden dürfen.
Im Arzthaftungsrecht entwickelte Beweislastumkehr zugunsten des Geschädigten nicht anwendbar
Für das weitere Verfahren hat der BGH darauf hingewiesen, dass der Kläger sich nicht entsprechend den im Arzthaftungsrecht entwickelten Beweisgrundsätzen bei groben Behandlungsfehlern auf eine Umkehr der Beweislast berufen kann mit der Folge, dass das beklagte Land die Nichtursächlichkeit etwaiger Pflichtverletzungen der Sportlehrer nachweisen muss. Zwar gölten diese Grundsätze nach der Senatsrechtsprechung wegen der Vergleichbarkeit der Interessenlage entsprechend bei grober Verletzung von Berufs- oder Organisationspflichten, sofern diese als Kernpflichten, ähnlich wie beim Arztberuf, spezifisch dem Schutz von Leben und Gesundheit anderer dienen. Dies hat der Senat für Hausnotrufverträge und die Badeaufsicht in Schwimmbädern angenommen. Die Amtspflicht der Sportlehrer zur Ersten Hilfe bei Notfällen sei wertungsmäßig jedoch nur eine die Hauptpflicht zur Unterrichtung und Erziehung begleitende Nebenpflicht. Die Sportlehrer würden an der Schule nicht primär oder in erster Linie – sondern nur "auch" – eingesetzt, um in Notsituationen Erste-Hilfe-Maßnahmen durchführen zu können. Eine Verletzung dieser Nebenpflicht, auch wenn sie grob fahrlässig erfolgt sein sollte, rechtfertige keine Beweislastumkehr in Anlehnung an die oben aufgeführten Fallgruppen.
Haftungsprivileg für Nothelfer greift nicht
Eine Haftung des beklagten Landes (§ 839 BGB, Art. 34 GG) komme nicht nur im Fall grober Fahrlässigkeit in Betracht, hält der BGH weiter fest. Das Haftungsprivileg für Nothelfer (§ 680 BGB) greife hier entgegen der Ansicht des Beklagten nicht. § 680 BGB wolle denjenigen schützen, der sich bei einem Unglücksfall zu spontaner Hilfe entschließt. Dabei berücksichtige die Vorschrift, dass wegen der in Gefahrensituationen geforderten schnellen Entscheidung ein ruhiges und überlegtes Abwägen kaum möglich ist und es sehr leicht zu einem Sichvergreifen in den Mitteln der Hilfe kommen kann. Die Situation einer Sportlehrkraft, die bei einem im Sportunterricht eintretenden Notfall tätig wird, sei aber nicht mit der einer spontan bei einem Unglücksfall Hilfe leistenden unbeteiligten Person zu vergleichen.
Erste-Hilfe-Leisten ist Amtspflicht von Sportlehrern
Den Sportlehrern des beklagten Landes habe die Amtspflicht oblegen, etwa erforderliche und zumutbare Erste-Hilfe-Maßnahmen rechtzeitig und in ordnungsgemäßer Weise durchzuführen. Um dies zu gewährleisten, hätten die Sportlehrer bereits damals über eine aktuelle Ausbildung in Erster Hilfe verfügen müssen. Die Situation des § 680 BGB entspreche damit zwar der von Schülern, aber nicht der von Sportlehrern, zu deren öffentlich-rechtlichen Pflichten jedenfalls auch die Abwehr von Gesundheitsschäden der Schüler gehört. Selbst wenn es sich nur um eine Nebenpflicht der Sportlehrer handelt, seien Sinn und Zweck von § 680 BGB mit der Anwendung im konkreten Fall nicht vereinbar. Insoweit sei der Anwendungsbereich des § 839 Abs. 1 BGB auch davon geprägt, dass ein objektivierter Sorgfaltsmaßstab gilt, bei dem es auf die Kenntnisse und Fähigkeiten ankommt, die für die Führung des übernommenen Amtes erforderlich sind. Zur Führung des übernommenen Amtes gehörten bei Sportlehrern aber auch die im Notfall gebotenen Erste-Hilfe-Maßnahmen. Dazu stände eine Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit in Widerspruch. Eine solche einschneidende Haftungsbegrenzung erscheint dem Senat auch vor dem Hintergrund nicht gerechtfertigt, dass mit jedem Sportunterricht für die Schüler gewisse Gefahren verbunden sind. Es wäre aber nicht angemessen, wenn der Staat einerseits die Schüler zur Teilnahme am Sportunterricht verpflichtet, andererseits bei Notfällen im Sportunterricht eine Haftung für Amtspflichtverletzungen der zur Durchführung des staatlichen Sportunterrichts berufenen Lehrkräfte nur bei grober Fahrlässigkeit und damit nur in Ausnahmefällen einträte.
Fundstelle
Redaktion beck-aktuell, Verlag C.H.BECK, 4. April 2019