"Weiterleben als Schaden"?

Kein Abbruch der Sondenernährung: Behandlungs- oder Aufklärungsfehler? Landgericht München I, Urt. v. 18.01.2017 - 9 O 5246/14; OLG München, Urt. v. 21.12.2017 - 1 U 454/17; BGH, Urt. v. 02.04.2019 - VI ZR 13/18

Der in einer Pflegeeinrichtung untergebrachte, schwer demente Vater des Klägers wurde mit einer liegen-den PEG-Sonde vom Beklagten als Hausarzt „übernommen“. Es gab keine Patientenverfügung. Der Patient stand unter Betreuung eines Rechtsanwalts. Die PEG-Sonde wurde auf Wunsch des klagenden Sohns und des Betreuers gelegt. Der Sohn lebt in den USA. Er hat seinen Vater in den letzten drei Jahren nicht besucht. Der Betreuer hat sich nie an den Beklagten gewandt und eine Beendigung der Sondenernährung gewünscht. Der Betreuer hatte verlangt, dass der Patient bei Problemen in ein Krankenhaus eingewiesen wird. Wegen einer Aspirationspneumonie wurde der Patient in ein Krankenhaus eingewiesen und verstarb dort.

Der klagende Sohn des Patienten wirft dem seinen Vater als Hausarzt betreuenden Beklagten vor, dass er die Leiden seines Vaters sinnlos verlängert habe. Der Zustand seines Vaters habe etwa zwei Jahre vor seinem Versterben die Indikation zur künstlichen Ernährung über eine PEG-Sonde nicht (mehr) gerechtfertigt. Vom Beklagten verlangt er jetzt die aufgewandten Unterbringungskosten und ein ererbtes Schmerzensgeld.

Nachdem die Klage noch vor dem Landgericht München auf Behandlungsfehler gestützt wurde und auf der Ebene der Kausalität scheiterte (Urt. v. 18.01.2017 - 9 O 5246/14), da es keinen allgemeinen Vermutungssatz gebe, dass sich ein Patient in Kenntnis seiner Situation fürs Sterben entschieden hätte, hatte der Kläger mit seiner Berufung teilweise (zu 26%) Erfolg.

Der Senat bejaht eine Aufklärungspflicht des Hausarztes dahingehend, den Betreuer zu informieren, dass die Sondenernährung möglicherweise nicht (mehr) indiziert ist. Wie sich der Betreuer entschieden hätte, habe die Beweisaufnahme zwar nicht eindeutig ergeben. Da sich der Betreuer jedoch gemäß seiner Aussage an das Betreuungsgericht gewandt und das Betreuungsgericht ihm (mutmaßlich) aufgegeben hätte, eine Äußerung des Sohnes einzuholen und der Sohn sich für eine Einstellung der künstlichen Ernährung ausgesprochen hätte, wäre „das Pendel“ (möglicherweise) zu Gunsten einer Einstellung der Ernährung ausgefallen. Die Folgen der Nichtaufklärbarkeit trage hier der Beklagte, da der Kläger einen Entscheidungskonflikt plausibel dargelegt habe.

Redaktionelle Leitsätze (Beck-online)

Bei unklarer bzw. zweifelhafter Indikation für einen ärztlichen Eingriff ist regelmäßig eine besonders umfassende Aufklärung erforderlich.

Lässt sich der mutmaßliche Wille des Betreuten nicht feststellen, gilt für den Betreuer die allgemeine Regel des § 1901 Abs. 2 BGB, sodass das (subjektive) „Wohl des Betreuten“. Maßstab seines Handelns ist, was dem Wohl eines schwerkranken und nicht mehr äußerungsfähigen Patienten am Ende seines Lebens entspricht, hängt von allgemeinen Wertvorstellungen ab, die wiederum von medizinischen Wertungen beeinflusst werden.

Ein Verstoß des behandelnden Arztes gegen § 1901b Abs. 1 BGB ist jedenfalls bei unsicherer bzw. zweifelhafter Indikationslage nach den herkömmlichen Kategorien des Arzthaftungsrechts als Verletzung der Pflicht zur Eingriffsaufklärung als Voraussetzung einer wirksamen Einwilligung des Betreuers in die Fortsetzung der lebenserhaltenden Behandlung einzuordnen.

Die Zuführung von Nährstoffen über eine PEG-Sonde bei einem Patienten, der infolge schwerer und irreversibler zerebraler Schäden auf natürlichem Wege trotz Hilfeleistung keine Nahrung mehr zu sich nehmen kann, ist ein widernatürlicher Eingriff in den normalen Verlauf des Lebens, zu dem auch das Sterben gehört.

Der Fall wird in der juristischen und medizinischen Fachliteratur kontrovers diskutiert und befindet sich derzeit aufgrund der vom OLG zugelassenen und von beiden Seiten eingelegten Revision unter dem AZ. VI ZR 13/18 beim Bundesgerichtshof.

Aus den Gründen des Berufungsurteils

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten aus ererbtem (§ 1922 Abs. 1 BGB) Recht seines Vaters einen Schadensersatzanspruch unter dem Gesichtspunkt einer Pflichtverletzung aus Behandlungsvertrag (§ 611 Abs. 1, § 280 Abs. 1 BGB), gerichtet auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes (§ 253 Abs. 2 BGB) in Höhe von 40.000,00 € nebst Prozesszinsen. Ein Vermögensschaden des Patienten ist demgegenüber nicht hinreichend dargelegt. Der Beklagte schuldet dem Kläger auch keine Erstattung vorgerichtlicher Anwaltsgebühren, weil er deren Zahlung nicht dargelegt hat. Weitergehende deliktische Ansprüche sind nicht gegeben.

Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass der Beklagte gegenüber dem Patienten die ihm aus § 1901b Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Behandlungsvertrag erwachsenden Pflichten verletzt hat. Danach hat der behandelnde Arzt zu prüfen, welche ärztliche Maßnahme im Hinblick auf den Gesamtzustand und die Prognose des - zur Entscheidung selbst nicht mehr fähigen - Patienten indiziert ist, und diese Maßnahme mit dem Betreuer unter Berücksichtigung des Patientenwillens zu erörtern. Der Arzt schuldet mithin dem Betreuer eine Aufklärung entsprechend den Vorgaben der Rechtsprechung zum Arzthaftungsrecht, die seit dem 26.02.2013 in § 630e Abs. 1 BGB normiert sind. Auf dieser Grundlage obliegt dem Betreuer sodann die Entscheidung darüber, ob er in die ärztliche Maßnahme nach § 1901a BGB einwilligt oder sie untersagt.

Ob der Beklagte demnach den Zeugen M. spätestens Anfang 2010 ausdrücklich darauf hinweisen musste, dass mit der künstlichen Ernährung kein Therapieziel im eigentlichen Sinn mehr verfolgt werden konnte, weil es keinerlei begründete Hoffnung und Aussicht auf eine Besserung des Zustandes gab, kann offen bleiben. Ein Informationsbedarf dürfte insoweit auf Seiten des Betreuers allerdings nicht bestanden haben. Denn nach der glaubhaften Aussage des Zeugen M. war ihm zum damaligen Zeitpunkt bewusst, dass es nur noch darum ging, den bestehenden Zustand des Patienten weitestgehend zu erhalten, wobei allen Beteiligten klar gewesen sei, dass sich dieser Zustand sukzessive nur noch verschlechtern würde, und dass zu irgendeinem Zeitpunkt die „Sonde zu ziehen“ sei.

Der Beklagte war im Rahmen seiner Aufklärungspflicht vor diesem Hintergrund aber jedenfalls verpflichtet, mit dem Betreuer die Frage der Fortsetzung oder Beendigung der Sondenernährung eingehend zu erörtern (vgl. jetzt auch § 630e Abs. 1 Satz 1 BGB: „Der Behandelnde ist verpflichtet, … über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie“), was jedoch unstreitig unterblieben ist. Bei unklarer bzw. zweifelhafter Indikation für einen ärztlichen Eingriff ist regelmäßig eine besonders umfassende Aufklärung erforderlich.

Die Beweisaufnahme durch den Senat hat nicht eindeutig ergeben, welche Entscheidung nach § 1901a BGB der Zeuge M. als Betreuer des Patienten im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung durch den Beklagten getroffen hätte.

Die Folge der Nichtaufklärbarkeit der Frage, ob sich der Betreuer bei gehöriger Information durch den Beklagten für oder gegen die Fortsetzung der Sondenernährung entschieden hätte und der Patient dann möglicherweise bereits im Januar 2010 verstorben wäre, trifft den Beklagten. Grundsätzlich trägt zwar der Gläubiger die Beweislast für den Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden. Nach allgemeinen Grundsätzen des Arzthaftungsrechts muss jedoch der Behandelnde beweisen, dass der Patient auch im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte. Der Kläger hat einen Entscheidungskonflikt plausibel dargelegt, wobei er sogar der Auffassung ist, dass der Betreuer nur eine einzige vertretbare Entscheidungsmöglichkeit gehabt hätte, nämlich für die Einstellung der künstlichen Ernährung.

Von einer hypothetischen Einwilligung - im vorliegenden Fall: des Betreuers - konnte sich der Senat aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme nicht überzeugen.

Die vom Landgericht erörterte Frage, ob die Vermutung des aufklärungsrichtigen Verhaltens in dieser Konstellation eingreift oder wegen „Höchstpersönlichkeit“ der Entscheidung des Betreuers außen vor zu bleiben hat, kann offenbleiben.

Der Beklagte hat den ihm obliegenden Entlastungsbeweis (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB), dass er die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat, nicht geführt.

Der Beklagte kann sich nicht auf einen unvermeidbaren Rechtsirrtum berufen, weil die für den vorliegenden Fall relevante Rechtsfrage jedenfalls mit Einführung der Erörterungspflicht über die medizinisch indizierte Maßnahme zwischen Arzt und Betreuer des Patienten in § 1901b Abs. 1 BGB geklärt war.

Die §§ 1901a und b BGB wurden nach jahrelanger intensiver Diskussion in juristischen wie ärztlichen Fachkreisen über die Bindungswirkung und Reichweite von Patientenverfügungen noch Unsicherheiten bestanden haben mögen, unter welchen Voraussetzungen ein Behandlungsabbruch bei schwerstkranken Patienten grundsätzlich zulässig war - ob erst bei „Eintritt in eine mutmaßlich unmittelbar zum Tod führende Phase der Grunderkrankung“ oder bereits dann, wenn die Grunderkrankung einen „irreversibel tödlichen Verlauf“ angenommen hatte, wurde durch § 1901a Abs. 3 BGB auch klargestellt,  dass es auf Art und Stadium der Erkrankung für die von dem Betreuer unter Einbeziehung des Arztes zu treffende Entscheidung nicht ankommt. 

Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat selbst eingeräumt, sich nicht im Detail mit der Gesetzeslage und der diesbezüglichen Diskussion in der Ärzteschaft beschäftigt zu haben. Dies wäre indes für ihn als Allgemeinmediziner, der nach eigenen Angaben regelmäßig Patienten behandelt hat, die unter Betreuung standen und in Pflegeheimen untergebracht waren, geboten und zumutbar gewesen.

In diesem Zusammenhang entlastet es den Beklagten auch nicht, dass das OLG Naumburg in einer Entscheidung vom 22.08.2013 (1 U 118/11, BeckRS 2013, 22072, unter Ziffer 4b) im Fall eines hoffnungslosen Wachkomapatienten bei Fehlen einer Patientenverfügung, nicht feststellbarem Patientenwillen und fehlendem Konsens mit den Angehörigen über einen Behandlungsabbruch auf eine Verpflichtung der behandelnden Krankenhausärzte erkannt hat, den Patienten nach Auftreten einer Komplikation intensivmedizinisch weiter zu behandeln. Denn zum Einen ging es hier um einen Sachverhalt aus dem Jahr 2004, mithin vor Inkrafttreten der §§ 1901 a ff BGB. Zum Anderen hat der Beklagte, wie vorstehend ausgeführt, die nötige Erörterung über das Für und Wider einer Fortsetzung der künstlichen Ernährung oder des Abbruchs der lebenserhaltenden Maßnahme mit dem Betreuer gar nicht erst vorgenommen, sodass dieser auch keinen „informed consent“ in die Behandlung erteilen konnte. 

Der Beklagte kann sich gegen den Vorwurf einer fahrlässig ungenügenden Erörterung der Situation des Patienten und der für ihn medizinisch indizierten Maßnahme mit dem Betreuer nach § 1901b Abs. 1 BGB nicht erfolgreich damit verteidigen, dass in ärztlichen Leitlinien und Literatur eine klare Handlungsanweisung gefehlt habe, ab welchem Zeitpunkt eine Sondenernährung nicht mehr fortgeführt werden solle. Denn auch wenn die einschlägigen Richtlinien dem Arzt insoweit einen Ermessensspielraum eröffnet haben, bedeutet das keine Entbindung von der Pflicht des Behandelnden zur Aufklärung des Patienten - bzw. hier: seines Betreuers -, vielmehr erforderte die vorliegende Situation mit zweifelhafter Indikationslage gerade eine besonders gründliche Erörterung.

Weiter durfte der Beklagte nicht wegen seiner persönlichen Einstellung in Fragen der passiven Sterbehilfe, die bei nicht feststellbarem Patientenwillen eine Beendigung der künstlichen Ernährung mit der Folge des Todeseintritts nicht zuließe , dem Betreuer die erforderlichen Informationen vorenthalten und sich dessen Behandlungswünschen in Bezug auf den Patienten diskussionslos unterordnen. Der Beklagte hätte sich unter Berufung auf seine ethische Auffassung zwar gänzlich aus der Behandlung des Patienten zurückziehen können, das hat er aber nicht getan.

Schließlich kann sich der Beklagte seiner Verantwortung als Hausarzt nicht damit entziehen, dass Fachärzte in der Klinik, in die er den Patienten bei Komplikationen mehrfach hatte einweisen lassen, nicht von sich aus eine Beendigung der Sondenernährung zur Diskussion gestellt hatten. Die Sachverständigen haben zwar ausgeführt, dass ein Hausarzt grundsätzlich davon ausgehen könne, dass beteiligte spezialisierte Fachkollegen ihrer Behandlungspflicht gerecht würden und sie die fachgebietliche Verantwortung übernähmen. Der Hausarzt müsse sich auf die Beurteilungen der Spezialisten verlassen.

Die aus der schuldhaften Pflichtverletzung durch den Beklagten - möglicherweise - resultierende Lebens- und gleichzeitig Leidensverlängerung des Patienten stellt nach Auffassung des Senats grundsätzlich einen nach den §§ 249 ff BGB ersatzfähigen Schaden dar. 

Soweit ersichtlich, gibt es zu dieser Problematik bisher im Inland keine Rechtsprechung. Der Bundesgerichtshof hat allerdings im sog. „Röteln“-Fall (BGH, Urt. v. 18.01.1983 - VI ZR 114/81, BGHZ 86, 240), in dem ein Arzt die Gefahr einer Schädigung des Fötus infolge Röteln-Erkrankung der Mutter während der Frühschwangerschaft schuldhaft nicht erkannt hatte, einen eigenen Schadensersatzanspruch des mit schwersten Schädigungen geborenen Kindes, das nach dem Vortrag der Eltern bei pflichtgemäßem Verhalten des Arztes abgetrieben worden wäre, aus dem Rechtsgrund des „wrongful life“ abgelehnt. Der BGH hat die Entscheidung maßgeblich damit begründet, dass die deliktischen Verhaltensnormen auf Integritätsschutz ausgerichtet seien, nicht aber dazu dienten, die Geburt einer Leibesfrucht deshalb zu verhindern, weil das Kind voraussichtlich mit Gebrechen behaftet sein würde, die sein Leben als „unwert“ erscheinen ließen. Das menschliche Leben sei ein absolut erhaltenswertes, höchstrangiges Rechtsgut; keinem Dritten stehe darüber ein Werturteil zu. Deshalb dürfe auch die Pflicht, das Leben eines Erkrankten oder schwer Verletzten zu erhalten, nicht von dem Urteil über den Wert des erhaltbaren Lebenszustandes abhängig gemacht werden. Nur bei der Frage, inwieweit nur noch einzelne Lebensfunktionen durch künstliche Maßnahmen ohne Hoffnung auf Besserung aufrecht zu erhalten seien, könne dieser Grundsatz eine gewisse Grenze finden. Weiter entziehe es sich einer allgemeinverbindlichen Beurteilung, ob Leben mit schweren Behinderungen gegenüber der Alternative des Nichtlebens überhaupt im Rechtssinne einen Schaden oder aber eine immer noch günstigere Lage darstelle. Der Mensch habe grundsätzlich sein Leben so hinzunehmen, wie es von der Natur gestaltet sei, und habe keinen Anspruch auf seine Verhütung oder Vernichtung durch andere. Hier fange ein Bereich an, in dem eine rechtliche Regelung der Verantwortung für weitgehend schicksalhafte und naturbedingte Verläufe nicht mehr sinnvoll und tragbar sei. Das Kind könne auf den Abbruch dieses schicksalhaften Verlaufs keinen Anspruch haben. Die für die Verneinung eines kindlichen Schadensersatzanspruchs wegen „wrongful life“ maßgeblichen Erwägungen kommen in der vorliegenden Fallkonstellation im Wesentlichen nicht zum Tragen. Zunächst einmal geht es nicht darum, das Leben eines schwerkranken Patienten als „unwert“ zu qualifizieren, sondern um die Frage, ob die Fortsetzung der Sondenernährung oder nicht eher das Zulassen des Sterbens seinem Wohl besser dient. Der Bundesgerichtshof plädiert in der Entscheidung selbst nicht für eine absolute Pflicht zur Lebenserhaltung in Situationen, in denen durch künstliche Maßnahmen lediglich einzelne körperliche Funktionen ohne Aussicht auf Besserung aufrechterhalten werden können. Soweit die Begründung auf den natürlichen und schicksalhaften Verlauf der Dinge abstellt - mit anderen Worten: das Schicksal bzw. die Natur habe es gewollt, dass die werdende Mutter an Röteln erkrankt und ihr Fötus dadurch geschädigt wird, was die Rechtsordnung hinzunehmen habe -, liegt der Fall hier gänzlich anders. Denn die Zuführung von Nährstoffen über eine PEG-Sonde bei einem Patienten, der infolge schwerer und irreversibler zerebraler Schäden auf natürlichem Wege trotz Hilfeleistung keine Nahrung mehr zu sich nehmen kann, ist gerade ein widernatürlicher Eingriff in den normalen Verlauf des Lebens, zu dem auch das Sterben gehört.

Es verbleibt allerdings das grundsätzliche Problem, ob das (Weiter-) Leben, wenn auch unter schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Leiden, gegenüber dem Tod bzw. der Nichtexistenz einen Schaden im Rechtssinn darstellen kann. Der Senat bejaht dies im vorliegenden Fall. Wenn nach Beweislastregeln zu unterstellen ist, dass der Betreuer den Patienten hätte sterben lassen, weil der Tod für ihn eine Erlösung gewesen wäre, muss das auch schadensrechtlich so gesehen werden. Es würde zudem einen Wertungswiderspruch darstellen, wenn man einerseits die Beibehaltung einer Magensonde und die mit ihrer Hilfe durchgeführte, lebenserhaltende künstliche Ernährung als fortdauernden einwilligungsbedürftigen Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten und anderseits diesem Sachverhalt eine schadensbegründende Qualität von vornherein abspräche.

Der Senat schließt sich einer in der Literatur vertretenen Auffassung, die einen Schadensersatzanspruch wegen nicht gerechtfertigter Lebensverlängerung nur im Fall eindeutig unvertretbaren ärztlichen Handelns in Betracht ziehen will, nicht an. Für eine Haftungsbeschränkung auf vorsätzliches und grob fahrlässiges Verschulden des Arztes sind keine triftigen Gründe ersichtlich. Vor dem Hintergrund, dass vorliegend ein vertraglicher Schadensersatzanspruch im Raum steht, erscheint auch eine Übertragung der Rechtsprechungsgrundsätze zur schuldhaften Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht angebracht, wonach ein Anspruch auf eine Geldentschädigung nur bei schwerwiegenden Eingriffen besteht, deren Folgen nicht auf andere Weise befriedigend aufgefangen werden können . Ein ersatzfähiger Schaden des Patienten wird unter normativen Gesichtspunkten weiter nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Anspruch typischerweise in den Nachlass fällt und erst von den Erben geltend gemacht wird. In Fällen, in denen die schädigende Handlung den Tod des Geschädigten zur Folge hat, ist dies die Regel. Schließlich wird ein Schadensersatzanspruch gegen den Arzt (oder Betreuer) wegen eines schuldhaften Verstoßes gegen die aus §§ 1901a und b BGB erwachsenden Pflichten nicht dadurch ausgeschlossen, dass Angehörigen des Patienten grundsätzlich die Möglichkeit offensteht, nach § 1904 BGB das Betreuungsgericht anzurufen.

Der Kläger muss sich auf den ererbten Schadensersatzanspruch des Patienten kein Mitverschulden des Betreuers anrechnen lassen. Nach §§ 254 Abs. 2 Satz 3, 278 BGB ist bei Vorliegen vertraglicher Beziehungen zwischen den Parteien dem Geschädigten das Mitverschulden seiner gesetzlichen Vertreter und Erfüllungsgehilfen bereits beim haftungsbegründenden Vorgang anzurechnen, soweit er sich ihrer zur Wahrnehmung seiner Interessen im Schuldverhältnis bedient hat. Der Betreuer ist innerhalb seines Aufgabenkreises gesetzlicher Vertreter des Betreuten. Hier erscheint allerdings schon zweifelhaft, ob der Patient im Rahmen des Behandlungsvertrages mit dem Beklagten überhaupt (noch) Obliegenheiten hatte. Letztendlich kann dies offenbleiben, denn zur Überzeugung des Senats hätte sich jedenfalls an dem Verlauf für den Patienten nichts geändert, wenn der Zeuge M. von sich aus im Gespräch mit dem Beklagten die Frage aufgeworfen hätte, ob die Fortsetzung der künstlichen Ernährung tatsächlich noch medizinisch indiziert war, oder ob es nicht doch eher ratsam wäre, die Behandlung auf ein rein palliative Versorgung unter Beendigung der Sondenernährung umzustellen. Nach dem persönlichen Eindruck und den Angaben des Beklagten im Rahmen der mündlichen Anhörung vor dem Senat besteht kein ernsthafter Zweifel daran, dass der Beklagte dem Betreuer auf eine entsprechende Frage nicht die vorstehend unter Ziffer 1.2.3 aufgeführten Informationen gegeben, sondern ihn lediglich mit den Worten „Wir können Herrn S. doch nicht verhungern und verdursten lassen“ oder einer ähnlichen Bemerkung verbeschieden hätte. Mehr als die Erkundigung bei dem Beklagten schuldete der Zeuge M. auch in seiner Stellung als Berufsbetreuer und Rechtsanwalt nicht, vielmehr durfte er sich als medizinischer Laie auf die ärztliche Beurteilung durch den Beklagten verlassen. Die Anrechnung eines eigenen Mitverschuldens des Klägers auf den ererbten Anspruch kommt von vornherein nicht in Betracht, weil der Kläger weder gesetzlicher Vertreter noch Erfüllungsgehilfe seines Vaters im Rahmen des Vertragsverhältnisses mit dem Beklagten war.

Bei einem vertraglichen Schadensersatzanspruch umfasst die Ersatzpflicht des Schädigers für eine Körper- oder Gesundheitsverletzung dann nach § 253 Abs. 2 BGB ein Schmerzensgeld, wenn der Schutzzweck der verletzten Vertragspflicht dies gebietet. Dies ist für die Pflicht des behandelnden Arztes aus § 1901b Abs. 1 BGB zur Erörterung der für den Patienten medizinisch indizierten Maßnahmen, die regelmäßig die Grundlage weitreichender Entscheidungen des Betreuers bildet, zu bejahen. Der Schmerzensgeldanspruch ist, im Gegensatz zu einem Anspruch auf Geldentschädigung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts, nach der Streichung des § 847 Abs. 1 Satz 2 BGB aF auch uneingeschränkt vererblich. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist zunächst zu beachten, dass bereits die Verletzung des Integritätsinteresses des Patienten, dem ohne wirksame Einwilligung über einen längeren Zeitraum mittels einer Magensonde Nahrung verabreicht wurde, für sich betrachtet ein Schmerzensgeld rechtfertigt. Hier kommt erschwerend hinzu, dass der bettlägerige und inkontinente Patient über einen Zeitraum von ca. 21 Monaten bis zum Eintritt des Todes massive gesundheitliche Beeinträchtigungen (inbesondere Dekubiti, Krämpfe, Fieber, Schmerzen, Atembeschwerden, Pneumonien, Gallenblasenentzündung) durchleiden musste, auch wenn seine Wahrnehmungsfähigkeit infolge des fortgeschrittenen zerebralen Abbaus -möglicherweise stark - eingeschränkt gewesen sein mag. Der Beklagte hat zwar weder die weitgehende Zerstörung der Persönlichkeit des Patienten als Folge der degenerativen Gehirnerkrankung noch die beschriebenen gesundheitlichen Komplikationen zu vertreten. Er ist aber mitverantwortlich dafür, dass der Patient in diesem Zustand weiter gelebt hat und leben musste. Das rechtfertigt es, mit Blick auf die verfassungsrechtliche Wertentscheidung in Art. 1 GG und in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Rechtsprechung in Fällen schwerer Geburtsschäden auf ein über eine bloß symbolhafte Entschädigung hinausgehendes Schmerzensgeld zu erkennen, dessen Höhe jedenfalls nicht in erster Linie davon abhängt, in welchem Ausmaß der Patient die Beeinträchtigungen tatsächlich empfunden hat. Unter Berücksichtigung aller Umstände erachtet der Senat im vorliegenden Fall deshalb ein Schmerzensgeld in Höhe von 40.000,00 € als angemessen.

Ein Anspruch auf Ersatz materiellen Schadens besteht demgegenüber nicht. Ist - wie hier - Naturalrestitution (§ 249 BGB) nicht möglich, ist nach § 251 BGB die Differenz zwischen dem Wert des Vermögens, wie es sich ohne das schädigende Ereignis darstellen würde, und dem durch das schädigende Ereignis verminderten Wert zu ersetzen. Vorliegend ist somit das Vermögen des Patienten zum Zeitpunkt des hypothetischen Versterbens im Januar 2010 mit seinem Vermögen am Todestag zu vergleichen.

Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts war zwar wegen der schwierigen Sach- und Rechtslage erforderlich und zweckmäßig. Der Beklagte hat jedoch bestritten, dass der Kläger das Honorar für die vorgerichtliche Tätigkeit seines Prozessbevollmächtigten bezahlt hat, wozu sich der Kläger nicht weiter eingelassen hat. Die Umdeutung des Zahlungsantrags in einen Freistellungsantrag ist nicht möglich. Die von dem Beklagten in diesem Zusammenhang weiter aufgeworfenen Fragen, ob der Kläger überhaupt einen Auftrag zur außergerichtlichen Rechtsverfolgung erteilt hat, und ob bejahendenfalls eine Kostenerstattung unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht wegen Sinnlosigkeit eines solchen Mandats ausgeschlossen wäre, können offenbleiben.

Der Schadensersatzanspruch ist nicht verjährt, weil der Kläger die bis zum 31.12.2014 laufende Verjährung (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB) durch Klageerhebung am 21.03.2014 rechtzeitig gehemmt hat (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Unabhängig davon, ob die Pflichtverletzung des Beklagten rechtlich als Behandlungsfehler und / oder als Verstoß gegen eine Aufklärungspflicht zu bewerten ist, ist der Streitgegenstand der Klage von Beginn an unverändert geblieben.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen vor. Der Rechtsstreit wirft die Frage von grundsätzlicher Bedeutung auf, ob das Weiterleben eines Patienten, der bei pflichtgemäßem Verhalten des Arztes früher verstorben wäre, einen ersatzfähigen Schaden in der Person des Patienten darstellen kann.

Anmerkung

Dass TACKE KRAFFT den Fall als anwaltliche Vertreter des noch in der ersten Instanz im Ergebnis obsiegenden Beklagten anders sehen, ergibt sich aus dem Umstand der auch diesseits eingelegten Revision.

Kritik an der verurteilenden oberlandesgerichtlichen Entscheidung wird nicht nur von uns geübt, sondern z.B. auch von Herrn Prof. Dr. Andreas Spickhoff, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Medizinrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Die Entwicklung des Arztrechts 2017/2018, NJW 2018, 1725.

Zitat

„Diesen (Anm.: Grundsatz „in dubio pro vita“) im Fall unklarer Haltung des Betroffenen in die Hände eines (je nach Sachlage mit dem Betroffenen nicht notwendig eng verbundenen) Betreuers zu legen und relativieren zu lassen – und zwar nicht aus der (eben nicht feststellbaren) Perspektive des Betroffenen, um dessen Leben es geht –, erscheint fragwürdig. Auch möchte man sich nicht in die Position der Behandlungsseite versetzen, die im Fall des Abbruchs lebenserhaltender Maßnahmen mit Strafbarkeitsrisiken (Tötungsdelikten) belastet wird und die nun im Fall der Lebenserhaltung Haftungsrisiken ausgesetzt ist. Verschärft wird diese Spannung dadurch, dass das OLG München der Behandlungsseite nicht einmal einen gewissen Spielraum einräumt, indem es nicht auf eindeutig unvertretbares ärztliches Verhalten abstellt, sondern offenbar nur zwischen „richtigen“ und „falschen“ Entscheidungen unterscheiden möchte. Dass die Akzeptanz eines ärztlichen Verhaltenskorridors vor dem Hintergrund deutlich wertungsbehafteter medizinischer Maßstäbe bei Entscheidungen rund um die Weiterbehandlung oder Nichtweiterbehandlung am Lebensende zurückgewiesen wird, obendrein mit der unzutreffenden Begründung, ein solcher Verhaltenskorridor liefe auf „eine Haftungsbeschränkung auf vorsätzliches und grob fahrlässiges Verschulden des Arztes“ hinaus, verkürzt den Lebensschutz im Übermaß, verdrängt den vom Gesetzgeber im Kontext der Regelung der Patientenverfügungen hervorgehobenen Grundsatz des „in dubio pro vita“ und verengt die ärztliche Entscheidungsfreiheit darauf, Leben gegebenenfalls mit dem Etikett der fehlenden Indikation zu versehen und demgemäß die Empfehlung für dessen Beendigung auszusprechen, die sich mit ärztlichem Ethos und wohl auch historischer Verantwortung kaum bruchlos verträgt.“

Kritisch äußert sich auch: Rainer Beckmann, Richter am Amtsgericht Würzburg, Medizinische Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg,
Lehrbeauftragter für Medizinrecht, in einem Aufsatz Indikation und „Therapiezieländerung“, MedR 2018, 317 ff.

Zitat

„Die vom OLG München dem Arzt letztlich aufgebürdete Verantwortung für die „Gesamtsituation“ ist dort systematisch falsch angesiedelt. Ob ein Patient durch Begrenzung von medizinischen Maßnahmen sein – u.U. sehr beschwerliches – Leben schneller beendet, als es bei Nutzung der medizinischen Möglichkeiten notwendig wäre, ist primär seine eigene Entscheidung. Er kann in einer Patientenverfügung eine künstliche Ernährung gänzlich ablehnen oder auch befristen, wenn er zwar die Chancen einer Erholung versuchsweise nutzen, aber nicht zum Dauerpflegefall wer-den will. Hat der Patient insoweit keine Vorgaben gemacht, ist es die Aufgabe des Patientenvertreters, das Wohl des Patienten zur Geltung zu bringen, wobei dieses Wohl nicht zwingend darin liegt, rein physisch möglichst lange am Leben erhalten zu werden. In einem modernen Medizinrecht kann es nicht sein, dass der Arzt qua „Therapiezieländerung“ über Leben und Tod entscheidet, weil er „die Gesamtsituation“ in einer bestimmten Weise bewertet. Durch die vom OLG München unterstellte Notwendigkeit der Erörterung einer „Therapiezieländerung“ wird der ursprünglich bestehenden Indikation für eine PEG-Sonde die Grundlage entzogen, obwohl ein medizinischer Grund hierfür nicht vorlag. Wenn sich die Gesamtsituation eines Patienten so verschlechtert, dass bestehende oder zusätzlich erforderliche medizinische Maßnahmen nicht mehr dem Wohl des Patienten entsprechen, ist es die Aufgabe des Patienten-vertreters, die Einwilligung in indizierte Maßnahmen zu versagen. Der Arzt war und ist der falsche Beklagte. Die Lösung des OLG München beruht auf einem Fehlverständnis des Begriffs der „Indikation“ und verkennt die geteilte Verantwortung von Arzt und Patient/Patientenvertreter. Das Problem der Sondenernährung und ihrer ggf. notwendigen zeitlichen Begrenzung kann nicht von ärztlicher Seite mit dem quasi-autoritativen Argument des „Wegfalls der Indikation“ gelöst werden. Erforderlich ist vielmehr eine umfassende Bewertung der Situation und eine am Wohl des Patienten orientierte Behandlungsentscheidung durch den rechtlichen Vertreter des Patienten."

Der Bundesgerichtshof (VI ZR 13/18) hat am 12.03.2019 mündlich verhandelt und angedeutet, dass er die Rechtslage wohl anders beurteilt als das Oberlandesgericht München:

  • Die Beweislast für die Kausalität, sei es eines Behandlungs- oder Aufklärungsfehlers, liege wohl beim Kläger.
  • Es könne an erstattungsfähigen materiellen und immateriellen Schäden des Klägers fehlen.
  • Die BGH-Entscheidung zum „Rötel-Fall“ sei ggf. in Teilen auf den vorliegenden Fall zu übertragen.
  • Es sei vielleicht unzulässig, darüber zu urteilen, wann ein Leben „lebenswert“ ist.
  • Hinsichtlich materieller Schäden könne es am Schutzzweckzusammenhang fehlen.

Entscheidung des BGH vom 02.04.2019 (Pressemitteilung)

Der Bundesgerichtshof hat auf die Revision des Beklagten das klageabweisende Urteil des Landgerichts wiederhergestellt. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes zu.

Dabei kann es, so der BGH, dahinstehen, ob der Beklagte Pflichten verletzt hat. Denn jedenfalls fehlt es an einem immateriellen Schaden. Hier steht der durch die künstliche Ernährung ermöglichte Zustand des Weiterlebens mit krankheitsbedingten Leiden dem Zustand gegenüber, wie er bei Abbruch der künstlichen Ernährung eingetreten wäre, also dem Tod.

Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben – auch ein leidensbehaftetes Weiterleben – als Schaden anzusehen (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG).

Auch wenn ein Patient selbst sein Leben als lebensunwert erachten mag mit der Folge, dass eine lebenserhaltende Maßnahme gegen seinen Willen zu unterbleiben hat, verbietet die Verfassungsordnung aller staatlichen Gewalt einschließlich der Rechtsprechung ein solches Urteil über das Leben des betroffenen Patienten mit der Schlussfolgerung, dieses Leben sei ein Schaden. 

Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Ersatz der durch das Weiterleben des Patienten bedingten Behandlungs- und Pflegeaufwendungen zu. Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen ist es nicht, wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden krankheitsbedingten Leiden verbunden sind, zu verhindern.

Insbesondere dienen diese Pflichten nicht dazu, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten.

Leitsätze

Das menschliche Leben ist ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig. Das Urteil über seinen Wert steht keinem Dritten zu. Deshalb verbietet es sich, das Leben - auch ein leidensbehaftetes Weiterleben - als Schaden anzusehen. Aus dem durch lebenserhaltende Maßnahmen ermöglichten Weiterleben eines Patienten lässt sich daher ein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld nicht herleiten.

Schutzzweck etwaiger Aufklärungs- und Behandlungspflichten im Zusammenhang mit lebenserhaltenden Maßnahmen ist es nicht, wirtschaftliche Belastungen, die mit dem Weiterleben und den dem Leben anhaftenden krankheitsbedingten Leiden verbunden sind, zu verhindern. Insbesondere dienen diese Pflichten nicht dazu, den Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten.

Aus den Gründen (Auszug)

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes zu. Es ist zweifelhaft, kann aber dahinstehen, ob mit der Begründung des Beruungsgerichts eine Verpflichtung des Beklagten zur Selbstbestimmungsaufklärung und eine Verletzung dieser Pflicht angenommen werden können. Ebenfalls kann offenbleiben, ob das hier zu beurteilende Verhalten des Beklagten, wie vom Kläger geltend gemacht, als behandlungsfehlerhaft zu qualifizieren ist. Keiner Entscheidung bedarf ferner die Frage, ob etwaige Pflichtverletzungen des Beklagten zu einer Gesundheitsverletzung beim Patienten geführt haben, die dem Beklagten zuzurechnen ist. Denn jedenfalls fehlt es an einem immateriellen Schaden (§ 253 Abs. 2 BGB).

Anmerkung

Der Bundesgerichtshof hat die Frage offen gelassen, ob in derartigen Fallkonstellationen überhaupt - und ggf. mit welchen Folgen auf der Kausalitätsebene - ein Behandlungsfehler oder Aufklärungssäumnis vorliegt.

Bei allem Verständnis für die in vielen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen für einen Beobachter "unerträgliche" Situation von Menschen, deren Leben künstlich aufrecht erhalten und wohlmöglich als "nicht mehr lebenswert" empfunden wird, hat der Bundesgerichtshof hier zurecht unter Berücksichtigung dieses Einzelfalls entschieden, dass diesem Kläger keinen Anspruch auf ein ungeschmälertes Erbe gegenüber dem Hausarzt seines Vaters zusteht.

Andererseits ist es durchaus zu begrüßen, dass dieses in der Tat wichtige Thema diskutiert wird, Ärzte und Betreuer (!) sensibilisiert werden und die Bedeutung einer Patientenverfügung bewusst gemacht wird.

Hätte der Patient auf diese Art und Weise "vorgesorgt", wäre es nicht zu diesem über drei Instanzen geführten Verfahren gekommen.

Exemplarisch für die Vielzahl aktueller Pressestimmen

http://www.tagesschau.de/multimedia/video/ts24/schwerpunkt/video-522969.html

http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-522997.html

https://www.zdf.de/nachrichten/heute/hinauszoegerung-des-todes-bgh-lehnt-schadenersatz-ab-100.html

Ansprechpartner u. anwaltl. Vertreter des Arztes in der I. u. II. Instanz

Dr. Götz Tacke, Partner

Fundstellen

FamRZ 2018, 723;
MedR 2018, 317;
LSK 2017, 146433;
BeckRS 2017, 146433

Datum

Rechtsgebiet Arzthaftungsrecht

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80331 München

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